1920 – 2020, 100 Jahre SPD in Gemünden a. Main.

28. Mai 2020

Vor 100 Jahren, im Mai 1920, wurde in Gemünden der SPD Ortsverein, eine „Sozialdemokratische Ortssektion“, gegründet. Die Vorstandsmitglieder der Gemündener SPD vermuteten zwar, dass die Gründung nach dem 1. Weltkrieg gewesen sein musste, aber schriftliche Belege dazu gab es nicht. Sonst übliche Protokolle, Kassenbücher und Mitgliederlisten wurden eventuell schon während der Nazidiktatur vernichtet, oder, wie viele Dokumente der Stadt Gemünden, bei der Zerstörung Gemündens vor 75 Jahren. Kreisheimatpfleger Bruno Schneider hat jetzt vor einigen Wochen die entscheidenden Hinweise im Archiv gefunden, es sind mehrere Versammlungsankündigungen im „Gemündener Anzeiger“.

Mitgliederversammlung 1920

Die Gemündener SPDler mit ihrer Vorsitzenden Monika Poracky zeigten sich angenehm überrascht und hocherfreut: „Das ist eine tolle Nachricht, vielen Dank an Bruno Schneider. Wir werden das im Herbst in einem würdigen Rahmen feiern.“ Bernd Rützel, Mitglied des Deutschen Bundestages und unterfränkischer SPD-Bezirksvorsitzender, schloss sich an: „Die SPD Gemünden tritt seit 100 Jahren für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ein. Diese Werte werden nie unmodern. Ich freue mich, dass mein Ortsverein dieses stolze Jubiläum feiern kann.

Laut den Pressemitteilungen erfolgte die erste Versammlung, mit dem Ziel eine Ortssektion zu gründen, am Sonntag, 16. Mai 1920, im „oberen Lokale der Brauerei“. Eingeladen hatte „Die provisorische Ortsleitung“. Offensichtlich war die Zusammenkunft erfolgreich, denn bereits zwei Wochen später, am Samstag, 29. Mai 1920, fand im Gasthaus „Löwen“ die erste Mitgliederversammlung statt und am Donnerstag, 3. Juni traf man sich dort vormittags. Leider gibt es im Anzeiger keine Mitteilungen über den Verlauf der Versammlungen oder die Wahlen eines Vorstandes und gefasste Beschlüsse. Somit bleibt es weiter im Verborgenen, wer die Sozialdemokratie in Gemünden aus der Taufe gehoben hat und wer die treibenden Kräfte waren.

Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war geprägt von Leid und Armut, die Wunden des Krieges waren noch nicht verheilt und gefragt waren plötzlich die grundlegenden sozialdemokratischen Werte, wie Solidarität und Gerechtigkeit. Dass eine gewisse Aufbruchstimmung herrschte, beweist die Vielzahl von SPD-Ortsvereinen, die in diesen Jahren gegründet wurden. Schließlich existierte das Kaiserreich nicht mehr, das die Sozialdemokraten schon unter Bismarck verfolgte und mit allerlei Verboten und Schikanen belegte. In Berlin hatte im November 1918 der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen mit den Worten: „Das alte Morsche ist zusammengebrochen. Es lebe die deutsche Republik!“

Die Gemündener Sozialdemokraten hatten sich nach ihrer Gründung offensichtlich etabliert. Bei der Reichstagswahl erreichte man 112 Stimmen, bei der Landtagswahl 113. Damit war man nach der konservativen Deutschen Volkspartei (514 und 510 Stimmen) jeweils zweitstärkste Partei in der vielgliedrigen Parteienlandschaft. Zur „öffentlichen Volksversammlung“ im Löwen kam am Samstag, 28. Januar 1922, als prominenter Gast der Landtagsabgeordnete Matthäus Herrmann aus Nürnberg, der später in der Nazi-Diktatur unter anderem in Dachau inhaftiert war und gegen Kriegsende nur knapp einer Verurteilung am berüchtigten Volksgerichtshof entging. Der Lokomotivführer und vielseitig sozial engagierte Gewerkschafter gehörte nach dem Krieg in der ersten Legislaturperiode wieder dem Landtag an. Der Besuch genau dieses prominenten Redners war sicher kein Zufall in der ansonsten von Handwerk, Gewerbe, Fischerei und Landwirtschaft geprägten Kleinstadt. Gemünden war seit der Anbindung an die Ludwigs-West-Bahn 1854 eine zunehmend bedeutende Eisenbahnerstadt. Die Eisenbahner waren traditionell gewerkschaftlich gut organisiert und hatten frühzeitig soziale Selbsthilfeorganisationen, viele kamen von auswärts, auch aus größeren Städten.

Wie schnell sich die politische Landschaft damals wandelte zeigte sich bereits bei den Reichstags- und Landtagswahlen 1924. Die Ergebnisse im Gemündener Anzeiger weisen den „Völkischen Block“, nach der Bayerischen Volkspartei, jeweils als zweitstärkste Kraft aus. Der Völkische Block war eine Sammelbewegung rechtsnationaler Kräfte, in der auch vorübergehend die nach dem Hitlerputsch von 1923 bis 1925 in Bayern verbotene NSDAP beheimatet war. Eine Ankündigung zur öffentlichen Versammlung am 3. Mai 1924 mit der Überschrift „Völkischer Block Gemünden“, umrahmt von zwei Hakenkreuzen, lässt die Vorboten des sich abzeichnenden Unheils bereits erkennen.

Es war der Sozialdemokrat Otto Wels der am 23. März 1933 die letzte freie Rede vor dem Reichstag hielt und den Nazis entgegen rief: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Die SPD wurde verboten, ihre Mitglieder verfolgt und viele führende Sozialdemokraten mussten ins Exil oder untertauchen, um nicht verhaftet zu werden. Erste bruchstückhafte Belege zur Geschichte der Gemündener SPD in der Nachkriegszeit finden sich erst wieder in den teilweise vorhandenen Kassenbüchern und Mitgliedermeldungen an den Bezirksverband ab dem Jahr 1948. Damals hatte der Ortsverein 17 Mitglieder, im Juli 1953 waren es bereits 39 und 1957 standen 49 Mitglieder, darunter sieben Frauen, auf dem Meldebogen. Unter den neuen Mitgliedern waren auch Heimatvertriebene aus den Ostgebieten, wie aus den Bergbauregionen Schlesiens, wo es schon früh sozialdemokratische Organisationen gab. Der Mitgliederbestand in Gemünden ging zwischendurch wieder zurück, was unter anderem auch auf die Gründung benachbarter Ortsvereine zurückzuführen ist. Heute ist die Zahl der Ortsvereine wesentlich niedriger, die Organisation der Basisarbeit konzentriert sich auf die zentralen Orte und in Zeiten der digitalen Kommunikation wird auch der Vereinsdiener nicht mehr benötigt, der das Geld für die Mitgliedsmarken im Parteibuch kassiert.

Aktuell zählt der SPD-Ortsverein Gemünden 59 Mitglieder, davon 22 Frauen. Ihm gehören der Bundestagsabgeordnete, Kreis- und Stadtrat Bernd Rützel an, sowie die Stadträte Monika Poracky, Ferdinand Heilgenthal und Jörg Fella. Den Vorsitz führt Monika Poracky, ihr Stellvertreter ist Alexander Martin.

Eine Feier zum Jubiläum ist am 13. November 2020 im großen Festsaal des Kreuzklosters geplant.

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